Donnerstag, 19. August 2010

Barrierefreies Deutschland - und die Bürokratie?

Ich möchte heute etwas los werden, was ich schon länger hätte schreiben sollen, weil es mich fassungslos macht und es etlichen Menschen ähnlich ergeht, wie meiner Familie.

Mein Bruder ist schwerbehindert - Behinderungsgrad 70 - er hat also Anspruch auf finanzielle Unterstützung. So weit so gut. Seine Unterstützung speist sich aus verschiedenen Kassen, wie etwa Sozialamt und Kindergeldkasse. Hier fängt es dann auch schon an, nicht mehr so gut zu werden. Denn bereits zum zweiten Mal bringt diese Kindergeldkasse meinen Bruder um sein Geld. Letztes Jahr schon stellten sie die Zahlung für SECHS MONATE ein, weil einige Angaben angeblich fehlerhaft waren. Später stellte sich heraus, dass der Fragebogen komplett ausgefüllt war, aber bei den Mitarbeitern quasi unter den Tisch fiel. Jedes Mal, wenn wir dort angerufen haben, war erstens eine andere Call-Agentin am Apparat und zweitens wurde uns immer eine andere Story aufgetischt. Einmal hieß es, der Fragebogen sei nicht angekommen; dann war der Fragebogen angeblich doch da, aber fehlerhaft ausgefüllt; dann fehlte angeblich die Kopie des Ausweises. Und mit jedem Anruf, der für sich schon kostenintensiv war - da Servicenummer - beteuerte man: "das Geld wird in zwei Wochen überwiesen; das Geld wird in einer Woche überwiesen usw. Überwiesen wurde da natürlich noch gar nichts. Wir wurden ständig nur mit Lügen vertröstet. Bis sich dann zu guter Letzt der Betreuer meines Bruders einschalten musste und so erwirkte, dass er eine saftige Nachzahlung aller ausgefallenen Monate erhalten hat und seine Bezüge wieder freigestellt wurden. Wie man den ganzen Winter über mit etlichen Euros weniger auskommt, weil man nicht beim Sozialamt weiter betteln möchte, kann man sich ja denken.

Aber das ist Geschichte.

Neulich wurde der Behindertenausweis meines Bruders verlängert und eine Kopie davon ging an die Kindergeldkasse. Sechs Wochen Bearbeitungsfrist - normal, ich weiß. Jetzt behaupten diese Leute aber, dass die Kopie des verlängerten Behindertenausweises nicht mit der Post angekommen sei, obwohl wir den Brief sogar per EINSCHREIBEN versandt haben! Also fast das gleiche Spielchen wie im letzten Jahr.

Ist das Zufall? Oder ist der Brief etwa schon wieder in den Bergen anderer Briefe untergegangen? Ich glaube langsam nicht mehr daran. So viele Stimmen habe ich in Internet-Foren für Behinderte und andere Bedürftige gelesen, die fast die gleichen Probleme haben, wie wir. Steckt da System dahinter, oder was ist los im Staate Deutschland?

Vielleicht will man auf diese Weise ja einfach mal auf Gedeih und Verderb testen, wer das Geld wirklich braucht und wer nicht? Oder das Sozialamt ein bisschen auf die Palme bringen? Denn die waren darüber wirklich "not amused".

Aber mir reicht es. Jetzt bekommen die erst einmal die Quittung vom Einschreiben und wenn sie dann nicht genauer nachsehen, wo der Brief ist, wenden wir uns nach der abgelaufenen Frist endgültig an das Sozialgericht.

Barrierefreies Deutschland? Vielleicht in den Einkaufsläden und Rathäusern.

4 Kommentare:

Vincentius Lerinensis hat gesagt…

Tja, das kenne ich von anderen Behörden auch. Gezahlt wird nur, wenn der euphemistisch "Kunde" genannte Bittsteller sich lange genug festgebissen hat. Vorher wird aber alles verfügbare Droh- und Sanktionspotential ausgeschöpft. Im Endeffekt spart sich der Staat so ein paar Monate laufende Kosten, und wenn er auch nur bei ein paar Leuten damit durchkommt, am Ende sogar endgültig bares Geld.

Ich kann nur raten genau die eigenen Rechte zu kennen (und die entsprechenden Gesetzestexte zu studieren), genau zu prüfen, welchen rechtlichen Stellenwert ein behördliches Schreiben hat ("sie" versuchen gerne mal, mit bedrohlich klingenden Schreiben akuten Handlungsstreß auszulösen -- der mitunter bewußt zum ungewollten Verzicht auf Rechte verleitet --, weil man ja die angedrohten Sanktionen nicht riskieren will, bei genauerer Betrachtung handelt es sich aber nur um ein Angebot, das mit keinerlei Sanktionen verbunden werden kann; hier ein Beispiel, wenn auch ganz andere Baustelle), sowieso alles nur schriftlich zu machen (und wenn es unbedingt ein Telefonat sein muß: Namen des Gesprächspartners, Datum und Uhrzeit sowie wesentliche Inhalte des Gesprächs vermerken), sich genau zu notieren, wann man welches Schriftstück auf welche Weise zugestellt hat (am besten: persönlich vorbeibringen und den Empfang bestätigen lassen, alternativ Einschreiben Rückschein, aber das geht auf die Dauer ins Geld), niemals Originale aus der Hand geben (die verschwinden gerne mal im Behördendschungel, notfalls die Kopien vom Pfarrer beglaubigen lassen oder bei der persönlichen Abgabe das Original vorlegen und einen entsprechenden Vermerk auf der Kopie machen lassen) und Bescheiden genau durchdacht widersprechen. Bei den Widersprüchen helfen dann die vorherigen Schritte: Ich habe ihnen am soundsovielten dieundie Unterlagen übergeben, Herr/Frau Sowieso hat mir das schriftlich bestätigt, ihr Bescheid ist aufgrund §§ Hastenichtgesehen fehlerhaft etc. pp. Ach ja: Nicht vergessen, Erstattung der Kosten für den Widerspruch zu fordern, und u.U. kann es sich sogar lohnen, eine Verzinsung der unberechtigt geforderten oder nicht gezahlten Summen zu verlangen (machen "sie" nicht, aber damit kann man "sie" erstmal schocken und zum Studium von Gesetzen und Verordnungen zwingen).

Oder einfacher formuliert: Querulanten sind nervig und daher echt im Vorteil. (Spaß macht es trotzdem nicht.)

Stanislaus hat gesagt…

Ne, Spaß macht es nun wirklich nicht. Andererseits gibt es unter den Antragstellern auch immer wieder schwarze Schafe, die eine solche Abwehrhaltung bei Vater Staat auslösen. Im Endeffekt sind immer die Bedürftigen die Leidtragenden ...

Lumen Cordium hat gesagt…

@Vincentius Lerinensis

Wow, soviel geballte Information. Einiges davon wusste ich schon und der Rest wird uns sicher auch sehr viel weiter helfen!

Vergelts Gott!

Lumen Cordium hat gesagt…

@Stanislaus

Das stimmt leider alles. Sowohl das mit den schwarzen Schafen, als auch das mit den Leidtragenden. *knirsch*