Sonntag, 18. Juli 2010

„Aber auch der Mensch ist besser als wir denken.“

Dieser Satz stammt - so hörte ich es - von Pater Werenfried, dem Gründer des Hilfswerkes "Kirche in Not". Davor steht der Satz: "Gott ist viel besser als wir denken".

Welcher Christ würde da widersprechen?

Dennoch kenne ich von anderen Mitchristen und von mir selber die teilweise zur Paranoia ansteigende Angst vor mancherlei Menschentypen. Vielleicht speist sich so eine Angst - oder nennen wir es eine Grundbefürchtung - aus schlechten Erfahrungen mit einer gewissen Menschengruppe, einem Verein oder gar einer Ethnie. Vielleicht liegt das Ganze auch wesentlich tiefer im Sündenfall des Menschen begründet, was uns daran hindert Vertrauen und Frieden zu halten.
Ich weiß es nicht. Mir ist nur aufgefallen, dass meine früher all zu häufig gehegte Grundbefürchtung gegenüber fremden Menschen nachgelassen hat, und zwar seit genau auf dem Tag vor vier Jahren. Damals war ich noch nicht christlich, sondern heidnisch/schamanisch unterwegs. Unterwegs war ich damals auch im wahrsten Sinne des Wortes, und zwar in der Gegend Bochum-Herne, als ich von einem Besuch allein nach Hause fahren musste. Ich lief in der Früh zielstrebig zur Haltestelle der BOGESTRA, löste ein Ticket mit dem letzten Kleingeld, welches mir noch übrig war und stieg dann ohne lange Wartezeit in die Straßenbahn ein. Erst nach einer Weile fiel mir auf der anderen Seite in der gegenüberliegenden Sitzreihe ein asiatisch aussehender Mann auf, der der Vater von Jackie Chan hätte sein können. Ich bemerkte, wie er mich unaufhörlich anstarrte, fast schon lauernd und bedrängend. Was will der von mir? Will er mich ausrauben; will er mich umbringen? Es war klar, dass ich eine starke Bedrohung fühlte und mir wurde sehr unwohl. Als die Straßenbahn am Hauptbahnhof hielt und ich schon fast erlöst aufstand, sah ich noch aus dem Augenwinkel wie es mir der Mann gleich tat. Nun geriet ich in Panik. Was hatte das zu bedeuten? Der Bahnhof war um diese Uhrzeit fast menschenleer. Für meine Abfahrt hatte ich einen festen Plan, den ich unbedingt einhalten musste. Doch der Fahrkartenautomat machte mir einen Strich durch die Rechnung, als ich mir mit meinem letzten Fünfziger ein WE-Ticket kaufen wollte. Er nahm den Schein aus unerfindlichen Gründen nicht an. Eine kleine Menschengruppe machte sich auf dem Weg zu meinem Gleis und ich fragte, ob man denn im Zug noch Karten kaufen kann. Dies wurde verneint. Die Uhr über meinem Kopf tickte und ich versuchte verzweifelt den Automaten mit meinem Geld zu füttern - vergebens. Fast fing ich an zu weinen, denn ich hatte kein Handy dabei, um eine Änderung meines Reiseplans an meinen Bruder, der mich abholen sollte, weiterzugeben. Es hätte also viele Probleme nach sich gezogen, wenn ich diesen einen Zug nicht bekommen hätte. Da stand der asiatische Mann auf einmal neben mir und ich wurde völlig ruhig. In einem seltsam dösigen Zustand gab ich dem Mann meinen Fünfziger und hörte wie mein Innerstes mir Vorwürfe machte: "was tust du denn da? Er haut mit deinem letzten Geld ab, dann stehst du alleine in einer fremden Stadt mit hoher Kriminalitätsrate da!". Ich hörte nicht darauf, der Schein hatte meine Hand verlassen und lag nun in der Hand des Fremden. Völlig ungläubig sah ich zu, wie dieser die 50 Euro mit einer Leichtigkeit in den Automaten einführte. Weg war der Schein - schnell eintippen und das Wechselgeld entgegennehmen. "Danke", sagte ich dem Mann und er lächelte.

Dieses Erlebnis war eines der schaurigsten und zugleich eine der schönsten Begebenheiten in meinem Leben. Ich kann es mir bis heute nicht erklären, aber ich schreibe es hier auf, um meine Erinnerung daran festzuhalten und um zu bezeugen, dass unsere Befürchtungen den Menschen gegenüber nicht immer, aber immer öfter bloße Trugschlüsse sind. Ein gesunder Abstand zu Menschen, die einem nicht gleich "koscher" sind, ist sicherlich ratsam, aber wie viel kann man sich schon auf menschlicher Ebne kaputt machen, wenn dieser Abstand zu Vorurteilen und Paranoia führt? Viel wäre schon getan, wenn vor allem wir Christen die Argwohn wieder überwinden könnten, weil das Zwischenmenschliche sicher ein fruchtbarer Boden für den Samen des Glaubens ist und somit der Mission in der deutschen Diaspora dienen könnte.

Auch wenn Pater Werenfried mit seinem Satz etwas anderes ausdrücken wollte - ich denke, mein Erlebnis passt trotzdem gut dazu.

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